Betrachtungen
Der Philosoph ist für Alain (eigentlich Emile Auguste Chartier, 1868-1951) in gewisser Weise ein Seelenarzt, die Philosophie ihrem Wesen nach Ethik und Erkenntniskritik, weil unser natürlicher Zustand der Irrtum ist, die Verwirrung und Zusammenhanglosigkeit unserer Gedanken. Der innere Vorgang jeder Betrachtung (jedes Propos) versucht daher, den Leser zu sammeln und zur Klarheit zu führen; denn auf dem gedankenlosen Dunkel gründet die Angst, unser unglücklichster Zustand. Demnach besteht das Talent des Arztes darin, den Teil des Menschen, der den übrigen retten kann, wiederzuerwecken und ihm eine Richtung zu geben. Das aber vermag allein die Kraft der Idee im Entstehen. In ihr liegt die eigentliche Faszination des Propos, einer Mischung aus gedrängtem Essay und Prosagedicht.
»Die Vernunft steht über den Tatsachen; sie erhellt sie unermüdlich; das ist ihre Weise, in der Welt zu wirken. Wie ein Leuchtturm, der weder den Wind noch die Wellen, noch den Nebel verändert, sondern nur nach Zahl und Vorschrift leuchtet.«