Wilfrid Laurier University Press
Wilfrid Laurier University Press is a scholarly press based in Waterloo, Ontario.
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View Rights PortalSiebzig Jahre nach dem Tod Adolf Hitlers wird sein autobiografisches Pamphlet »Mein Kampf« ab Januar 2016 wieder auf dem Buchmarkt verfügbar sein. Die Schrift, die 1924 entstand und anschließend in zwei Teilen veröffentlicht wurde, fand bis 1945 millionenfache Verbreitung, das Regime schenkte sie beispielsweise frisch Vermählten zur Hochzeit. Dennoch gilt sie, so zumindest die Rechtfertigungsformel nach Kriegsende, als der am wenigsten gelesene Bestseller der deutschen Geschichte. Der große österreichische Kabarettist Helmut Qualtinger hat das Buch nicht nur gelesen, sondern in den siebziger Jahren öffentlich rezitiert. Bereits 1961 hatte Qualtinger mit seinem Ein-Personen-Stück »Der Herr Karl« das Verleugnen von Antisemitismus und Opportunismus thematisiert und heftige Kontroversen ausgelöst. Auch die Lesung von »Mein Kampf« war eine Provokation. Indem Qualtinger zwischen Sachlichkeit und schriller Hysterie changiert, entlarvt er den menschenverachtenden Größenwahn des Diktators.
»Ich also pflege mir, alle 4, 5 Jahre, ein fertiges ›Tagesnotizbuch‹ zu kaufen […] Format 11 mal 30; wo jeglicher Tag seine Seite hat; 34 Zeilen von 10 Zentimeter Länge. Aus der Dauer der Benützungszeit ergibt sich, daß auf jeden Tag durchschnittlich 6–8 Kurzzeilen entfallen; und das hier zuständige Gesetz lautet : je länger die Eintragung, desto wertloser der Tag.« (Arno Schmidt) Nur eines dieser Tagesnotizbücher von Arno Schmidt ist überliefert und wird erstmals komplett veröffentlicht. Es umfasst mit den Jahren 1957 bis 1962 den Umzug der Schmidts von Darmstadt nach Bargfeld ebenso wie die Entstehung der Romane Die Gelehrtenrepublik und Kaff auch Mare Crisium sowie der Erzählungen aus Kühe in Halbtrauer. Literarische Arbeit, Lektüren, Korrespondenz, Finanzsorgen, der Ehe-Alltag und die Belastungen des Umzugs – alles findet sich, äußerst verknappt, im Tagebuch wieder. Die Notizen werden durch einen umfangreichen Kommentar erschlossen, der die verzeichnete Korrespondenz erläutert, die Arbeitspensen so weit wie möglich aufschlüsselt und Bezüge zum Zeitgeschehen herstellt. Ergänzt wird das Buch durch eine umfangreiche Bildauswahl aus den Fotografien von Arno und Alice Schmidt aus Darmstadt, Bargfeld und von verschiedenen Ausflügen in jenen Jahren.
Im Jahr 1955 stand Arno Schmidt ohne Verleger da, wurde wegen Gotteslästerung und Pornographie angezeigt und mußte sich von einem Saarburger Amtsrichter befragen lassen. Seinen eben geschriebenen Roman Das steinerne Herz wollte er eigentlich nicht mehr veröffentlichen. Die spärlichen Einnahmen erschrieb Schmidt sich mit Zeitungsartikeln, bis endlich die erste Rundfunksendung angenommen wurde. Nachdem Auswanderungs- und vielerlei Umzugspläne gescheitert waren, fanden sich Arno und Alice Schmidt am Ende des Jahres in Darmstadt wieder. Hier vertieften sich die Bekanntschaften mit dem Maler Eberhard Schlotter und mit Schriftstellerkollegen. Inspiriert von der ihm wenig sympathischen Atmosphäre der Darmstädter »Künstlerkolonie«, schrieb Arno Schmidt das Capriccio Tina oder über die Unsterblichkeit. Alice Schmidt erweist sich in diesem Tagebuch als treue Chronistin des schwierigen Schriftstelleralltags, aber auch als optimistische, stets ermunternde Gefährtin ihres Mannes, der an den zahlreichen Hürden, die sich ihm in den Weg stellten, schneller verzweifeln wollte als sie selbst.
Das Erdbeben in Chili – Die Marquise von O... – Die Verlobung in St. Domingo – Kommentar von Helmut Nobis
Arno Schmidt bemerkte einmal, er sei ein "fauler" Briefschreiber: "meine näheren Bekannten – denn ich habe deren tatsächlich – wissen das, & harren in Geduld. (Und der schönste ‹Brief›, den ein Autor versenden kann, ist & bleibt ja doch wohl das ‹Neue Buch›. –)" Diese Selbsteinschätzung paßt zwar zu dem öffentlichen Vorurteil über den "Solipsist in der Heide", ist aber nur die halbe Wahrheit, wie der vierte Band der Arno-Schmidt-Briefausgabe beweist. Die komplett dargebotenen Korrespondenzen Schmidts mit Böll, Deschner, Döblin, Edschmid, Hesse, Jahnn, Kreuder, Rühmkorf, Stefl, Steinberg und Martin Walser (nebst einer Fülle von Einzelbriefen) zeigen Schmidt als einen Autor, der aus einer selbstgewählten Randposition sehr wohl die Mechanismen des Literaturbetriebs auf seine Weise zu bedienen wußte. Der ausführliche Kommentar des Kölner Literaturwissenschaftlers Gregor Strick macht den Band zu einem Kompendium bundesrepublikanischer Literaturgeschichte, das weit über den Kreis der Schmidt-Leser hinaus Beachtung finden wird.